Selbstlos?

In letzter Zeit fiel in Zusammenhang mit meinem Engagement rund um M. und ihre Krankheit öfters das Wort „selbstlos“ – meist bewundernd. Mir verursacht das Wort Unbehagen. Ich empfinde mein Tun nicht als selbstlos, aus mehreren Gründen:

Es geht in diesem Blog sehr stark um mich:
Mein Mitgefühl, meine Überforderung, meine Trauer, meine Abgrenzung und meine Wut über den Umgang von Behörden. Mein Selbst ist das immer stark involviert, auch weil ich mir immer wieder die Frage stellen muss: Was, wenn ich einmal in der Situation bin, dass ich mich nicht (mehr) wehren oder artikulieren kann? Wer wird es für mich tun?

Ich muss immer wieder spüren, was mir selbst gut tut:
Ich kann nur für M. da sein, wenn ich zu mir Sorge trage – so, wie ein Bergsteiger immer erst sich selbst sichern muss, bevor er einem Kollegen / einer Kollegin in Schwierigkeiten helfen kann. Ich baue bewusst Pausen, Walks oder Wellnessstunden ein, um meine Batterien aufzuladen – und ich bin dankbar, wenn meine FreundInnen mich darauf hinweisen, sollte ich doch zwischendurch meine eigenen Bedürfnisse zu weit hinten an stellen.

Es kommt immer auch etwas zurück zu mir:
Auch wenn die klaren Momente immer seltener werden, die Kommunikation immer schwieriger: M. zeigt mir deutlich, wie sehr sie meine Besuche schätzt. Es gibt berührende Momente von Nähe zwischen uns, wenn wir gemeinsam Elvis oder Reggae hören, wenn ich ihr Hände und Füsse massiere oder sie einfach streichle, wenn sie unruhig ist. Ich lasse mich auf ihre Welt ein, wenn sie über ihre Pläne spricht – sei es, dass sie am Comersee Ferien machen will, gleich neben George Cloony; sei es, dass sie irgendwelche Schreinerarbeiten plant oder auf Kleider wartet, die in Kugeln geliefert werden – und wir lachen und sind fröhlich wie Kinder.

Ich weiss, dass mein Einsatz befristet ist:
Seit dem 1.1.2014 rechne ich, was M. angeht, nur noch in Monaten und Wochen, nicht mehr in Jahren. Und so ist es einfach, Entscheidungen zu treffen: In 10 Jahren wird es keinen Unterschied machen, ob ich an einem Kaffeeklatsch oder einem Treffen von Twitterkollegen dabei war – aber für M. kann es einen grossen Unterschied sein, ob ich ein Stündchen für sie da bin oder nicht. Die Tage sind lang, wenn man in einem Spitalbett liegt, sich nicht mal mehr selber drehen kann; geplagt von Ängsten und Unruhe, die man nicht mehr artikulieren kann; unfähig, etwas anderes zu tun als sich vom Fernseher berieseln zu lassen …

Niemand sollte in einer solchen Situation allein sein:
Auch ich nicht – später einmal. Und ja, ich weiss, es gibt keine Garantie, dass jemand später für mich da ist, so, wie ich versuche, für M. da zu sein. Aber wie könnte ich für mich darauf hoffen – und gleichzeitig wegsehen, sagen, es geht mich nichts an, sollen doch die Kinder …?

Und ja: Manchmal würde ich gerne kneifen!
Es gibt Tage, da würde ich am liebsten am Eingang vorbei spazieren – aus Angst, was mich erwartet. Es gab Tage, an denen M. sehr aggressiv war, und auch das Wissen, dass der Mistkobold aus ihr sprach, machte es nicht einfacher, ihre Tiraden zu ertragen.

Aber dann gibt es eben auch die Tage wie heute:
Ich komme ins Zimmer, sie liegt quer im Bett, ein Bein durchs Gitter gestreckt, das andere abgewinkelt, der Kopf wie ein Nussgipfel geknickt, weil das Kopfteil hochsteht, die Decke weit von sich gestrampelt. Es sieht so ungemütlich aus, dass meine Gelenke vom Zusehen schmerzen – aber sie schläft wie ein Herrgöttchen. Ich klingle nach den Pflegenden, damit wir sie in eine bequemere Lage bringen können, wobei sie erwacht – und mich zahnlos anlächelt: Bisch scho do?! Und auch wenn mein Besuch kurz ist, weil sie nach dem Zvieri lieber noch etwas schlafen will: Für dieses „scho do“ hat es sich gelohnt.

 

 

 

 

Ich bin freischaffende Werbetexterin und Inhaberin von Lovey Wymann's Schreib-Lounge. Als anerkannter Gadget-Freak mit einem Hang zu digitalem Lernen äussere ich mich gerne zu neuen Technologien und deren Möglichkeiten zur besseren Integration von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen (im Englischen so schön mit "Special Needs" umschrieben. Als neugierige Reisende berichte ich zudem gerne von meinen kürzeren und längeren Abstechern  – in Form von Kurzbeiträgen und Reisetagebüchern. Aktuell schreibe ich wieder mehr über den Umgang mit Menschen mit Hirntumoren – weil mich diese Geschichte nun schon das zweite Mal einholt. Und nicht zuletzt jongliere ich mit Sprache und Kommunikation – und veröffentliche Wortspielereien, Kurzgeschichten oder einfach Amüsantes oder Interessantes rund um Sprache, Sprechen und Kommunizieren. Ich schreibe vorwiegend auf Deutsch und Englisch, teilweise auch Französisch. Unter Lovey's Astro-Lounge biete ich zudem Lebensberatung auf Basis von Astrologie und Tarot an – eine Form der Selbsterkenntnis, keine Zukunftspognosen.

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Veröffentlicht in Allgemein, Hirntumor
1 comments on “Selbstlos?
  1. An fotoSH sagt:

    oh ja

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